Ruf der Toten by Marcel Feige

Ruf der Toten by Marcel Feige

Autor:Marcel Feige
Die sprache: deu
Format: mobi
Tags: Horror
veröffentlicht: 2012-08-17T22:00:00+00:00


London

Das Büro von Dr. Richard Manzini, Geschäftsführer des Hampstead Medical High, war das genaue Gegenteil der Krankenzimmer, über die er wachte – ein einziger überheblicher Ausdruck von Protz und Prahlerei. Bücherregale, überbordend vor Folianten und Aktenordnern, ragten bis hoch unter die Decke. Die obersten konnte man nur mit Hilfe einer Leiter erreichen. Eine Stehleuchte spendete dem Raum das entsprechende Licht, nicht aufdringlich, aber trotzdem hell genug, dass die Originalbilder an den Wänden nicht mit schlichten Kunstdrucken verwechselt werden konnten.

In der Mitte war der kantige Schreibtisch platziert. Dahinter saß der Geschäftsführer in einem Ledersessel und strich sich seinen Anzug glatt, als rechne er damit, dass jeden Augenblick die Queen höchstpersönlich ins Zimmer trete. Neben ihm stand Dr. Martensen, der Chefarzt. Beide blickten sie abwechselnd auf Paul und Bart, die auf zwei schmalen Stühlen vor dem Schreibtisch saßen und Mühe hatten, ihre Erschütterung zu verbergen.

»Es tut mir Leid, meine Herren«, sagte Manzini. Die Beileidsbekundung schien so etwas wie ein geflügeltes Wort in seinem Hospital zu sein. Jetzt nestelte er einen Fussel von seinem Hosenbein.

»Das ist alles, was sie dazu zu sagen haben?«, fragte Bart ungläubig. Weil Paul kaum dazu in der Lage war, übernahm sein Bruder das Gespräch.

»Was erwarten Sie?«, fragte Manzini, während er seine fein manikürten Hände auf dem Schreibtisch faltete.

Bart beugte sich auf seinem Stuhl nach vorne. »Ich habe keine Ahnung, was ich erwarte, Mister Manzini. Aber ich weiß, wo Sie sich Ihr Beileid hinschieben können!«

Martensen räusperte sich despektierlich. »Ich kann Ihre Verärgerung…«

»Verärgerung?«, fuhr Bart auf. »Wir sind nicht verärgert. Wir sind wütend. Stinksauer.«

»Das verstehen wir durchaus«, erklärte Manzini, und seine Stimme hob sich um keinen Deut. Im gleichen Tonfall hätte er einem Trupp Senioren auf einer Butterfahrt ins Grüne Heizdecken aufschwatzen können. »Doch wir haben alles in unserer Macht Stehende getan, um die…«Er räusperte sich. »… sterblichen Überreste Ihrer Freundin zu finden.«

»Es ist nicht meine Freundin«, knurrte Bart. »Es ist die Freundin meines Bruders.«

Manzini nickte. Martensen wanderte zum Fenster und starrte in die trübe Suppe, die der Dienstagmorgen über London ausschüttete. »Wir haben das ganze Krankenhaus durchsucht.«

Bart funkelte ihn giftig an. »Und?«

»Mister Griscom«, warf Manzini mit seiner Butterfahrtstimme ein. »Wir sind uns durchaus bewusst, dass es sich hierbei um einen schrecklichen Vorfall handelt. So etwas darf nicht passieren, keine Frage. Und doch geschehen manchmal Dinge, die nicht zu verhindern sind. Sehen Sie, wir sind ein Hospital mit sehr vielen Patienten. Unser Einzugsbereich ist beinahe der ganze Norden Londons. Unsere Ärzte und Pfleger leisten jeden Tag alles Menschenmögliche, manchmal sogar Unmögliches. Wir retten Menschenleben. Nur eines darf man dabei nicht vergessen: Wir sind auch nur Menschen. Und Menschen unterlaufen manchmal Fehler.«

»Sie wollen also behaupten, es sei ein simpler Fehler, dass die Leiche verschwunden ist.«

»Wie ich schon sagte, es ist…«

»O Mann!«, fluchte Bart. »Jetzt lassen Sie Ihr offizielles Geseiere doch endlich einmal beiseite und sagen uns, was wirklich passiert ist! Zuerst wissen Sie nicht, warum Beatrice ins Koma gefallen ist. Dann stirbt sie noch am selben Tag, ohne dass Sie ihr helfen können, und zum krönenden Abschluss geht Ihnen dann rein zufällig ihre Leiche verloren.



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